Wie erfrischend es doch ist, wenn ein „alter“ (so alt ist er gar nicht) Lehrer zu Besuch ist und die Trainings im eigenen Dojo anleitet. Auf einmal muss ich wieder Schüler sein, wobei das „müssen“ vielmehr ein „dürfen“ ist. Es ist wie ein Aufatmen. Als Lehrer bin ich mit dem Leiten der Stunde beschäftigt, beobachte von außen, erkläre und bringe Anekdoten und Vergleiche. Es gilt, das richtige Mass zu finden auf technischer, philosophischer und individueller Ebene – orientiert an den Personen, die auf der Matte sind. Fordern und auch überfordern … gelegentlich auch eine Unterforderung riskieren. Motivieren und antreiben, dann wieder (zu)lassen und es aushalten, auch einmal nichts zu korrigieren. Es sind unzählige Nuancen, die sich auf der Matte befinden, die – mal weniger, mal mehr – aufblähen und zu Themen werden können. Die eigene Praxis, das eigene Bewegen rückt in den Hintergrund bis auf die wenigen Momente, in denen ich vorzeige.
All das fällt mit einem Schlag weg, wenn ein anderer Gastlehrer in den eigenen vier Dojo-Wänden das Ruder übernimmt. Wieder ganz Schüler sein! Aber: Die Identifikation als Lehrperson, die sich mit jeder geleiteten Stunde ein weiteres Stückchen manifestiert, will nicht so einfach verschwinden. Obwohl ich mich unter die anderen mische, sind sie doch weiterhin meine Schüler. Der kleine Lehrer im Kopf schaut links, schaut rechts, was da getrieben wird. Und er schaut natürlich nach vorne, was der „alte“ Lehrer anleitet, wie er es macht. Er gleicht ab, ob es stimmt, ob er dem etwas abgewinnen kann oder ob es grober Unfug ist oder im Bereich des Unerreichbaren liegt. Und er will natürlich zeigen, dass nichts von all dem, was der „Alte“ zeigt, unerreichbar ist. Der kleine Lehrer im Kopf will zeigen, dass er über das eigene Probieren und Scheitern erhaben ist, dass er einen speziellen Zugang zu dieser Kunst besitzt, die ihn von seinen Schülern unterscheidet und abhebt, ihn mindestens auf den gleichen Rang mit dem „Alten“ setzt.
Und dann kommt die Verlegenheit, wie sie kommen muss. Etwas funktioniert nicht, wie es sich die Lehrermanifestation ausgemalt hat. Etwas ist neu, ist anders, ist nicht einfach so nachzumachen, geschweige denn in einem Rutsch gemeistert.
Zum Glück! Denn diese kleineren bis größeren Schläge auf das Lehrer-Ego zwicken und sind unangenehm, doch im Grunde wirken sie befreiend und erleichternd. Weg mit der ganzen Grütze! Weg mit dem Bekannten! Weg mit all dem Gelernten und den Selbstverständnissen! Weg mit den Blicken nach links, nach rechts und nach vorne! Der Blick gehört wieder dahingerückt, wo er hingehört. Auf sich, auf das Tun, auf den Augenblick. Endlich wieder probieren, endlich wieder Scheitern.